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Wie Asterix mit Ausschlag

Widersprüche, Widerstände, Wahrnehmungsverluste: Die Zweifel an der Impfung gegen die Schweinegrippe bleiben.
Wenn man derzeit mit Wolf-Dieter Ludwig über die Schweinegrippe spricht, reagiert der sonst so besonnene Arzt gereizt. "So viel Unsinn kann man gar nicht entkräften, wie geredet und geschrieben wird", sagt Ludwig, der nicht nur Chefarzt für Krebsheilkunde ist, sondern auch Vorsitzender der unabhängigen Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AKDÄ). Ludwig ist ein Arzt, den man redlich nennen kann. Um der Sache willen geht er auch dahin, wo es manchmal weh tut - ins Fernsehen. Dort trifft er auf Virologen, die sich wichtig tun, weil ihr Fachgebiet plötzlich im Mittelpunkt steht. Deutschland sucht den Super-Experten. Das Problem daran: Keiner kennt Antworten auf die vielen Fragen. Und mancher redet sich für ein bisschen Popularität um Kopf und Kragen.



Viele Fragen kursieren um den Schweinegrippenimpfstoff

So ergehen sich manche Virologen in Horrorszenarien von 50 000 Toten in Deutschland. Andere bezeichnen den Impfstoff als sicher, obwohl sie das nicht wissen können - genauso wenig, wie sie wissen können, ob er unsicher ist. "Die Diskussion ist nicht mehr schön", sagt Ludwig. "In Frankreich und Italien werden nüchtern jeden Tag die Zahlen aufgelistet - wie viele Menschen sind erkrankt, wie viele davon schwer, wie viele leicht. Diese Transparenz fehlt in Deutschland. Und die Indizien, die dagegen sprechen, dass die Schweinegrippe gefährlich ist, werden kaum kommuniziert."

Dabei ist auf der Südhalbkugel der Winter gerade vorbei, und dort gab es zumeist harmlose Verläufe. Todesfälle im Verhältnis zur Zahl der Infizierten waren dort nicht häufiger als bei der saisonalen Grippe. In Neuseeland und Australien ermittelten Forscher einen schweren Verlauf pro 300 bis 400 Infektionen. "Die breite Masse hat in Deutschland kaum eine Chance, sich ausgewogen über Nutzen und Risiken der Impfung zu informieren", beklagt Ludwig. Zu wenig Fachleute stehen dazu, dass die Wissenschaft nicht immer Antworten hat. "Als Experten müssten wir bei der Schweinegrippe öfter bekennen: ,Wir wissen es auch nicht genau‘", sagt der Bremer Gesundheitswissenschaftler Norbert Schmacke.

Dafür gibt es viele offene Fragen und Zweifel. So wüsste man beispielsweise gern, ob sich die Regierung und die Gesundheitsminister der Länder bei den Vertragsabschlüssen mit der Pharmaindustrie nicht über den Tisch haben ziehen lassen, wie Insider vermuten. "Warum mussten gleich Impfdosen für 50 Millionen Menschen bestellt werden?", fragen kritische Ärzte. "Warum hat man sich nicht auf einen Stufenplan mit der Industrie geeinigt, der die Bereitstellung je nach Bedarf regelt?" Dass die Preiskalkulation für den Impfstoff absurd ist - ein Euro der Wirkstoff, sechs Euro der umstrittene Wirkverstärker - kann nicht oft genug betont werden.

Für einen Treppenwitz oder einen Fall für den Bundesrechnungshof halten Beobachter je nach Gemütslage auch eines der wenigen Ergebnisse des "Impfgipfels" vom Mittwoch - dass zu wenig Impfstoff da ist. Werden erst im Frühjahr die Impfdosen ausgeliefert, ist es zu spät. Was nützt eine Massenimpfung, wenn der Winter vorbei ist und die Grippesaison sowieso natürlicherweise ihrem Ende entgegengeht? "Wer abends zum Essen einlädt, sollte vorher in den Kühlschrank schauen", sagt Gerd Antes, Mitglied der Ständigen Impfkommission und Leiter des Cochrane-Zentrums, das die Güte wissenschaftlicher Studien bewertet. "Nach dem bedingungslosen Aufruf der Politik zur Impfung führt der Mangel an Impfstoff die Empfehlung jetzt ad absurdum."

Die Impfaktion selbst verläuft chaotisch. Patienten kommen zu Ärzten, die nicht impfen oder keinen Impfstoff haben. Ein Arzt aus München sagt: "Ich habe beschlossen, dass es in meiner Praxis keine Schweinegrippe gibt. Niemand weiß, wer den Test bezahlt - der Verlauf ist fast immer milde, und wenn die Leute krank sind, gehören sie ins Bett, egal was Ursache ihrer Grippe ist." Der Aufruf von Gesundheitsminister Rösler, dass nicht alle Menschen jetzt zur Impfung sollen, zeigt die schlechte Planung - der Eindruck der Verknappung führt wohl erst recht zum Ansturm auf Impfpraxen.

Wegen der unsystematischen Impferei werden Nebenwirkungen schlecht erfasst. Das pharmakritische arznei-telegramm betitelt seinen Bericht über den Impfstoff mit "Verträglichkeitsmythos und Empfehlungschaos". Gerd Antes hat letzten Samstag in dieser Zeitung betont, wie unseriös es ist, Impfstoffe als "sicher" zu bezeichnen - wie auch, sie zu verteufeln. Sie sind schlicht in dieser Zusammensetzung fast nicht erprobt.

Pandemrix, der Impfstoff für die Bevölkerung, der wie Asterix mit Ausschlag klingt, ist vor der Zulassung nur an 61 Probanden getestet worden. Die dürftigen Erfahrungen wurden zuvor mit einem Modellimpfstoff gemacht, der neben dem wenig getesteten Wirkverstärker AS03 den Wirkstoff gegen das Vogelgrippe-Virus H5N1 enthielt. Dieser wurde kurzerhand gegen einen Wirkstoff gegen das Schweinegrippe-Virus H1N1 ausgetauscht. Aus wenigen Erfahrungen mit dem ersten Impfstoff abzuleiten, dass der zweite Impfstoff - mit dem noch weniger Erfahrungen bestehen - unbedenklich sei, hält Ludwig "vorsichtig ausgedrückt für verwunderlich". Nach all dem Durcheinander und den vielen offenen Fragen ist für ihn klar: "Keiner kann mehr bestreiten, dass wir gerade Teilnehmer eines riesigen Großversuchs sind."

Quelle:
Süddeutsche Zeitung online vom 13. November 2009